Zum Buch –
De Signatura rerum
oder: Ich war ein verborgener Schatz und wollte
erkannt werden; deshalb erschuf Ich die Welt
In diesem Buch fließen – in Form von Gedichten und
Meditationen – Gedanken und Empfindungen aus meinem Alltag
der letzten 20 Jahre zusammen.
Sie sind Teil des Ausdrucks meiner Beschäftigung und meiner
Auseinandersetzung mit dem Weg des Menschen in einem von
Gott geschaffenen Universum, das in unfaßbarer Komplexität
und Fülle zu uns spricht.
Die Schöpfung, das >ausgesprochene Wort Gottes<, wie Jakob
Böhme es formuliert, und wir ein Teil davon, Teil des
>Mysterium magnum<, dieses „uneingrenzbaren
Geheimniszusammenhanges von Gott, Welt und Mensch“
(Gerhard Wehr, Jakob Böhme, S.30-31 und S. 268), dies ist immer
wieder Thema meiner Gedanken.
Die Schöpfung Gottes – ein Universum von Geist und Natur,
von Geheimnis und Klarheit, von mystischem Geschehen und
abstrakter Logik, von Poesie, überwältigender Schönheit und
Kraft – von berauschender Magie, von Zauber und Ahnung, vor
allem aber von einer allumfassenden Wahrheit, die alles
Geschehen durchwebt, indem sich Gottes >ausgesprochenes
Wort< leibhaftig „durch die Geheimschrift der Signaturen“
mitteilt, „die allen Elementen vom Stein bis zum Stern aufgeprägt
sind (vgl. Böhmes Werk De signatura rerum) (G. Wehr, J. Böhme, S.
31), für den Menschen, als Teil dieses Geheimniszusammenhanges,
eine unaufhörliche Aufforderung zum Sehen, zum
Verstehen – zum Wachsen.
Der Mensch inmitten der Schöpfung – selbst Schöpfer – vor
allem an sich selbst – an seiner inneren Welt und dann an der
äußeren Welt, die mit ihm verschmilzt wie seine äußeren Werke
Ausdruck seiner selbst sind, seiner innersten Seele, in der ein
Same schlummert, den wir durch unser Leben in dieser Welt zum
Erblühen bringen sollen.
„Unsere Seele bearbeiten, wie man die Erde bearbeitet, damit sie
den Samen aufnimmt. Uns selber bearbeiten… Dann wächst der
Keim von allein. Licht und Wasser, die vom Himmel fallen, lassen
ihn wachsen.“ (Simone Weil in: E. Gazotti, S. 98)
So die Welt und unsere Aufgabe in dieser Welt zu verstehen
versuchen: den ewigen Weg, das ewige Wachsen, die ewige
Wandlung …
Sich als Teil dessen begreifen, was war, ist und sein wird, als Teil
eines universellen Weltgeschehens, weit jenseits einer lauten
Medien, Körper und Karriere orientierten Event-Gesellschaft, der
sinnentleerten Show- und Business-Superlative einer
globalisierten, gleichgeschalteten Heuschrecken- und Ellenbogen-
Ideologie, die die Seelen unserer Kinder vergewaltigt, sie geistig
verarmen und veröden läßt – ihres eigentlichen menschlichen
Ursprungs entwurzelt.
Sich jenseits dieser „utilitaristischen“ Konsum- und
Machtindustrie als Mensch zu definieren, jenseits eines wieder um
sich greifenden Ungeistes Verantwortung für sich und das geistige
Klima in unserer Welt zu übernehmen, heißt auch, um mit
Hermann Hesse zu sprechen, „ein Unterwegssein im
Unendlichen, ein Mitschwingen im Universum, ein Mitschwingen
im Zeitlosen“. (H. Hesse, Das Glasperlenspiel, S. 582) Ergänzen
müßte man noch: Ein Unterwegssein im Meer der Weltgedanken.
Denn wir wissen, daß der äußeren Zerstörung immer erst eine
innere vorangeht, die in unseren Tagen längst wieder begonnen
hat. Zeichen solcher Zeiten sind, um noch einmal Hermann
Hesse zu zitieren, „die öde Mechanisierung des Lebens, das tiefe
Sinken der Moral, die Glaubenslosigkeit der Völker und die
Unechtheit der Kunst.“ (H. Hesse, Das Glasperlenspiel, S.574)
Dem kann man nur begegnen, wenn man sich anderen
Dimensionen öffnet – der Stille und der Weite in uns und um uns.
Denn „dem Menschen (…) ist es aufgetragen, dem
>ausgesprochenen Wort< zu antworten.“ (Jakob Böhme, S. 31)
Die Antwort findet der Mensch auf der Suche. Denn weil das so
ist, daß der Mensch (im doppelten Sinne) des Wortes a u f –
b r a c h , aufgebrochen wurde, als er vom Baume der Erkenntnis
aß, deshalb bleibt er der ewig Suchende, den, wie Muhammad
Iqbal es in seinem >Buch der Ewigkeit< beschreibt, die Sterne in
der festgelegten ewigen Ordnung ihrer Bahnen beneiden, weil er –
der Mensch – „weiß, daß ewiges Leben Wachsen“ heißt. (A.
Schimmel, M. Iqbal, S.144)
Deshalb beginnt auch das >Buch der Ewigkeit< mit dem
Entzücken des Dichters, „unendliche Räume vor sich zu haben,
durch die Wüste des Suchens zu eilen (…):
Verlang von Gott noch sieben andre Sphären,
Verlang noch hundert Räume, hundert Zeiten..
Am Paradiesesstrom entworden sinken,
Ganz wunschlos fern vom Kampf von Gut und Böse:
Wär´ unsere Rettung dies: frei sein vom Streben –
Das Grab wär besser als solch Himmelsleben!“
(A. Schimmel, M. Iqbal, S. 144)
Wenn wir uns neue Räume, neue Welten erschließen wollen,
müssen wir uns wieder, wie der Dichter Iqbals, auf die Reise
begeben – in die Welt des Geistes, die allen Kulturen der Welt ihr
Wertvollstes und Innerstes gegeben hat. Wir sind dabei, dieses
Innerste und Wertvollste zu verlieren und es – vor allem –
unseren Kindern nicht mehr zu vermitteln. Sie werden
irgendwann einmal keine „klare Vorstellung oder Ahnung von
den spirituellen Traditionen besitzen, denen sie letztlich
entstammen. Die sollten sie kennen, um daran anknüpfen zu
können. Aber der Leitfaden fehlt ihnen.“ Wir, die Erwachsenen
und „ die Hüter des geistigen wie des religiösen Lebens (Schule
und Kirche)“, versäumen es immer mehr, „ihnen dies zu
vermitteln.“ (G. Wehr, J. Böhme, S. 7-11) Die Verbindung zu den
Kräften des Geistes, der diese Welt bewegt und in ihrem
Innersten zusammenhält, droht bei den neuen Generationen
abzubrechen. Obwohl es gerade die Kinder sind, die in den ersten
Jahren ihres Lebens noch mit der „Nabelschnur“ ihres Urgrundes
verbunden und offen und unverbildet für die Fragen, Rätsel und
Geheimnisse des Lebens sind. Ihr Staunen, ihr „Drang nach
Wahrheit“ und danach, hinter die Dinge zu schauen, wird nie
wieder so ursprünglich, so sehnsuchtsvoll sein wie in den ersten
Jahren ihres Erwachens in dieser Welt.
Auch hier möchte ich noch einmal Hermann Hesse sprechen
lassen: „Jeder Mensch ist nicht nur er selber, er ist auch der
einmalige, ganz besondere, in jedem Fall wichtige und
merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt sich kreuzen,
nur einmal so und nie wieder. Darum ist jedes Menschen
Geschichte wichtig, ewig, göttlich, darum ist jeder Mensch,
solange er irgend lebt und den Willen der Natur erfüllt, wunderbar
und jeder Aufmerksamkeit würdig. In jedem ist der Geist Gestalt
geworden, in jedem leidet die Kreatur, in jedem wird ein Erlöser
gekreuzigt …
Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der
Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch
ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es
zu werden, einer dumpf, einer lichter, jeder wie er kann. (…) Wir
können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich
selbst.
Ein Stück Kindheit, das, wie mir scheint, den meisten Menschen
allzu gründlich verlorengeht, ist der Drang nach Wahrheit, das
Verlangen nach Übersicht der Dinge und ihrer Ursachen, die
Sehnsucht nach Harmonie und sicheren geistigen Besitz. Ich litt
unter zahllosen Fragen ohne Antwort und fand allmählich heraus,
daß den Befragten meine Fragen oft unwichtig und meine Nöte
unverständlich waren. Eine Antwort, die ich als Ausflucht oder
gar als Spott erkannte, schüchterte gar oft meine Seele wieder in
ihr allmählich wankendes Gebäu von Mythen zurück.
Wieviel ernster, reiner und ehrfürchtiger würde das Leben vieler
Menschen werden, wenn sie etwas von diesem Suchen und Nach-
Namen-Fragen auch über die Jugend hinaus in sich bewahrten!
Was ist der Regenbogen? Warum winselt der Wind? Woher
kommt das Verwelken der Wiesen, woher das Wiedererblühen,
woher Regen und Schnee? Warum sind wir reich und der Nachbar
Spengler arm? Wohin geht am Abend die Sonne?
Der Mensch erlebt das, was ihm zukommt, nur in der ersten
Jugend in der ganzen Schärfe und Frische, so bis zum
dreizehnten, vierzehnten Jahr, und von dem zehrt er sein Leben
lang.
Es gibt nichts Wunderbareres und Unbegreiflicheres und nichts,
was uns fremder wird und gründlicher verlorengeht als die Seele
des spielenden Kindes.
Kinder sind weitherzig und vermögen durch den Zauber der
Phantasie Dinge in ihrer Seele nebeneinander zu beherbergen,
deren Widerstreit in älteren Köpfen zum heftigsten Krieg und
Entweder-Oder wird.“ (H. Hesse, Jedem Anfang… S. 7-10)
Im „ständig wachsenden Stahlskelett der mathematischen Naturwissenschaften“
(zit. nach J. Kirchhoff, Giordano Bruno, S. 8),
wie C. F. von Weizsäcker es formuliert, versuchen wir, Antworten
zu finden und werden überschwemmt von einer Flut empirischen
Einzelwissens, das uns oft vergessen läßt, „daß es neben dieser
berechtigten q u a n t i t a t i v e n Sichtweise auch eine q u a l i -
t a t i v e Betrachtung und Einschätzung der Welt geben müsse.
…Allein sie ermöglicht …, die >Tiefe des Seins< (Paul Tillich) als
zu der e i n e n Wirklichkeit gehörig wahrzunehmen“ (1) und –
um mit Jakob Böhme zu sprechen, die „Ewigkeit in der Zeit zu
erkennen.“ „Eine Handvoll Erde, ein Baum, eine blühende Wiese,
sie konnten ihm (Böhme) als Objekt der Besinnung wie der
Meditation genügen, um dieser Ganzheit der geistdurchpulsten
Materie inne zu werden.“ (G. Wehr, J. Böhme, S. 13)
Ich möchte mit meinem Buch ein wenig zu diesem >Inne-
Werden< beitragen; auch dazu, mehr der inneren Stimme zu
vertrauen, ihr zu lauschen und sich von ihr in die verschütteten
Gärten unserer Kindheit tragen zu lassen, aus denen uns das
(1)In meinem Buch >Israel … Mon Amour< führe ich diesen Gedanken im
Kapitel >Der Mensch erlebt in sich den Sinn der ganzen Welt< weiter aus.
Denn modern, aufgeklärt und fortschrittlich verbleibt doch das Wissen unserer
Zeit in der Reduziertheit unserer „erdoberflächenverhafteten Erfahrungswelt“,
kann diesen „wesensmäßig relativen Erfahrungsbereich“ (J. Kirchhoff, G.
Bruno, S. 8, 15) auch qua definitione nicht verlassen und fällt damit hinter die
visionären ganzheitlichen Denkansätze eines Nikolaus von Kues und eines
Giordano Bruno um „Lichtjahre“ zurück.
Paradies erwächst, wenn unsere Seele Flügel ausbreitet und wir
den verborgenen Schatz in uns und um uns erkennen als Quelle
des Geistes, der uns in immer neue Räume ewigen unendlichen
Werdens trägt. „Denn wir sind irdische Gefäße eines (…)
unausschöpflichen Inhalts (…) auf dem Weg, den der einzelne
selbst gehen muß:
Denn das Buch, da alle Heimlichkeit innen lieget, ist
der Mensch selbst … Das große Arcanum lieget in
ihm, allein das Offenbaren gehört dem Geist Gottes.“
(J. Böhme, S. 27)
So sagt es der große philosophus teutonicus, Jakob Böhme, der als
einfacher Schuhmacher aus Görlitz die großen Geister der Welt
inspirierte(1) und dem es „um eine Ganzheit“ ging, „die Geist und
Materie, äußere Wahrnehmung und innere Erfahrung in eins zu
fassen vermag“, um eine „kosmische Religiosität“ also, die „die
engen Grenzen konventionellen Kirchentums überschreitet.“ (G.
Wehr, J. Böhme, S. 8)
Die Gedichte, Betrachtungen und Meditationen dieses Buches
zeichnen Stimmungen und Gedanken auf, wie ich diese Welt und
das ihr innewohnende Mysterium wahrnehme, das Wunder der
1) Wobei ich hier nur auf Goethe, Novalis, Schelling, Hegel, Nikolai Berdjajew
und Ernst Bloch verweisen möchte.
Schöpfung, „in der Irdisches und Himmlisches in einem einzigen
großen Akkord zusammenklingen. Dieser Zusammenklang ist
selbst schon ein Mysterium, ein geheimnisvolles, von ungeahnten
Wundern durchwobenes Ineinander“, das sich „nicht etwa vor
den Menschen“ verschließt, sondern zur Offenbarung drängt (G.
Wehr, J. Böhme, S. 265), wie das Licht längst erloschener Sterne
zu uns dringt … und uns am Himmel das Bild der Ewigkeit
erscheint, in dem Vergangenheit und Gegenwart ineinander
verwoben sind – wie in unserem eigenen Leben und der
Geschichte der Menschen.
Auch Novemberrosen sind ein Mysterium, das Spuren in meinem
Leben hinterlassen, sich eingezeichnet hat an einem
Novemberabend in mein Empfinden, in mein Erleben. Indem
Novemberrosen in mir etwas zum Erblühen, zum Erklingen
gebracht haben, wurden sie Teil von mir und ich von ihnen auf
meinem Weg zu mir selbst, auf unserem Weg zur Ganzheit, auf
dem wir geleitet werden von unseren Träumen – wie Joseph aus
der biblischen Josephslegende. Denn Gott möchte uns mit der
Geschichte von Joseph und seinen Brüdern zum Träumen
auffordern. Er möchte ausdrücklich, daß wir uns von unseren
Träumen leiten und erfüllen lassen, damit wir Berge versetzen,
indem wir das Unmögliche wollen, danach streben und daran
wachsen. Wie das Volk Israel, dem man immer wieder alles
nehmen konnte, aber nie den von Gott verheißenen >Traum
vom Gelobten Land<.
Also machen wir uns auf – gemeinsam, unsere Träume zu verwirklichen,
um – mit Hermann Hesse und dem Dichter Iqbals –
voller Entzücken und heiter immer neue Räume zu betreten auf
unserem Weg … hinauf zu den Sternen, dem Himmel und dem
Licht …
Inge Borchert-Busche 29.Mai 2007
Joseph´s Lied
Close every door to me
Hide all the world from me
Bar all the windows
And shut out the light.
Do what you want with me
Hate me and laugh at me
Darken my day time
And torture my night.
Close every door to me
Keep those I love from me
Children of Israel are never
alone.
For I know I shall find
My own peace of mind
For I have been promised
A land of my own.
Just give me a number
Instead of a name
Forget all about me
And let me decay.
For we know
We shall find
Our own peace of mind
For we have been promised
A land of our own.
Tim Rice